Dienstag, 24. Mai 2016

Von Hamstern, Fliegen & Büffeln (Gastbeitrag von Jaqueline Gorman)


Von Hamstern, Fliegen und Büffeln – oder, warum wir unsere Pferde nicht sanft zu kooperativen Reitpferden- und Freizeitpartnern streicheln können
PferdeProvieh Sandra S. Git auf ihrer sehr schön gestalteten Webseite an, dass sie sie„liebevoll, gewaltfrei und schonend mit Pferden arbeiten und sie gesunderhaltend mit Rücksicht auf ihre individuelle Anatomie reiten und ausbilden möchte“. Das ist im Wortlaut toll, widerspricht leider jedoch sowohl auf den angeblich auf Vox so unfair gekürzten Videos und ihren eigenen Youtube Clips jedoch vehement.
Fast noch spannender aber sind die Diskussionen im Hintergrund und der latente Vorwurf an die scheinbar so bösen Turnierreiter, dass selbige (egal, ob FN oder EWU) ja permanent mit Gewalt arbeiteten, wozu so allerhand Teufelszeug wie Gebisse, Sporen und Hilfszügel angeführt werden.
Heute morgen hatte ich beim Rausstellen unserer Pferdeherde ein Erlebnis der Dritten Art. Dazu muss ich sagen, dass ein geregelter Paddokgang aufgrund der stark gefrorenen Matschpaddoks seit Dezember für alle Pferde nicht möglich war und 2 der 4 Tiere seit Dezember gar nicht mehr drau0en waren. Der langen Rede kurzer Sinn – eine ältere Stute, die in ihren jungen Jahren nach einer Karriere auf der Trabrennbahn lange alleine gestanden hatte, ging wie auf eine Furie auf ein Jungpferd los und trat so unverhältnismäßig zu, dass das andere Jungtier dazwischen ging und ich die älteren Tiere wieder zurückbringen musste.
Die Schläge, die sich die Tiere einander zufügten, waren heftig. Vermutlich ist es Glück und den Decken zu verdanken, dass es keine äu0erlichen Verletzungen gab. (Hoffen wir auf das Übrige.)
Worauf will ich mit dieser Geschichte raus?
Pferde sind keine Hamster. Während sie einerseits die Sensibilität und das Feingespür haben, eine Stubenfliege auf ihrer Haut zu fühlen, können sie andererseits mit mehr als einer halben Tonne Lebendgewicht grob werden und so kraftvoll zutreten, dass einer dieser Tritte für uns Menschen tödlich enden könnte.
Was sagt das zum Thema Reiten und Gewalt aus?
Jeder vernünftige Mensch möchte ein leichtrittiges, feinfühliges Pferd reiten, das unsere Hilfen willig annimmt und so zu reiten ist, wie Frau Prüma das oben beschreibt.
Bis wir aber zu diesem Punkt der Ausbildung kommen (manche von uns werden diesen Idealzustand leider nie erreichen), dauert es aber – je nach Können des Ausbilders und dem angeborenen Naturell des Pferdes – mehrere Jahre Ausbildung, die zum Teil auch mal Momente enthält, die mitunter weniger feinfühlig oder sensibel anmuten.
An alle diejenigen, die vom Halsringreiten träumen, sei bereits an dieser Stelle gesagt: dem feinfühligen Halsringreiten oder der Freiarbeit eines Showreiters sind viele Stunden konsequenten Trainungs am Boden und/oder im Sattel mitunter auch mal kurzfristig gröberen Übens, dem Verwenden von diversen Zäumungen oder Hilfsmitteln etc. vorausgegangen.
Das fängt am Boden an und hört nicht unbedingt im Sattel auf. Jedes Tier ist anders und mitunter kann ein und dieselbe Handlung in einer anderen Situation angewendet eine völlig andere Wirkung haben. Um hierfür ein Beispiel zu geben: das von einigen kritisierte tatschende Lob mit der flachen Hand auf den Hals („German Pat“) kann einmal vom daran gewöhnten Pferd sehr angenehm und bestärkend empfunden werden, während es vom gleichen Tier in einer „strafenden Situation“ (z.B bei rüpelhaftem Verhalten am Anbindeplatz) als sehr unangenehm empfunden und mit einem Grunzen beantwortet werden kann. Wer eine Stute besitzt weiß, wie sehr die Intensität der Schenkelhilfen im Laufe des Zyklus variieren kann.
Niemand sollte einem Tier unnötigen Schmerz zufügen. Das sollte das erklärte Ziel aller Trainer und Reiter sein. Wenn es aber die Situation gebietet, werde ich lieber einmal kurz und beherzt reagieren, als mich in eine unnötige Gefahr zu begeben oder respektlosem Verhalten dem Menschen gegenüber Vorschub zu leisten. Wer über die entsprechende Ausbildung und Erfahrung mit Pferden verfügt, weiß, wann diese Momente gekommen sind. Alle anderen sollten die Finger von jungen oder unzureichend ausgebildeten Pferden lassen! Diese Feststellung und das Grundprinzip
„So wenig wie möglich und so viel wie nötig“ kann man auf alle Bereiche der reiterlichen Ausbildung und Kommunikation mit dem Pferd übertragen.
„Gewalt“ ist für mich nicht der kurzfristig stärkere Schenkel oder der Einsatz der Gerte oder des Sporens im Rahmen einer Impulsbetonten Ausbildung, die darauf abzielen, das Pferd sofort durch nachlassenden Druck für die gezeigte Reaktion zu belohnen, damit es sukzessive lernt, auf feinste Hilfen zu reagieren. Gewalt ist für mich auch nicht der angenommene Zügel, der auch mal kurzfristig durchhalten kann, bis das Pferd gelernt hat, nachzugeben. Ebenso wenig hat es für mich mit Gewalt zu tun, wenn das Pferd im Roundpen oder auf dem Longierzirkel mit einer vernünftigen und vor allem passenden! Zäumung gearbeitet und ggfs. Kurzfristig reglementiert wird.
„Gewalt“ bedeutet für mich viel eher, ein Pferd, das das ABC der Kommunikation mit dem Menschen am Boden noch nicht gelernt hat, auf einem Au0enplatz oder einer 20x40m Halle ohne Begrenzung longieren zu wollen und es dann loszulassen und billigend in Kauf zu nehmen, dass es sich verletzen kann. Grob fahrlässig und alles andere als feinfühlig oder Pferdegerecht ist es, ein Kaltblut mit einem Micklem auszustatten, dass ihm fast ins Auge drückt. Wie soll dieses Tier lernen, willig die Reiterhilfen anzunehmen? Eine reelle Stellung und Biegung sind mit dieser diletantischen Reithalfter-Führstrick-Kombination nicht möglich, wenn nicht gleichzeitig der treibende Impuls nach vorne durch einen balancierten Reiter unterstützt wird. Hier verlässt man sich völlig auf die gutmütige Natur des Pferdes, nimmt ihm aber die Chance, seinen Rücken aufzuwölben und entsprechende Muskulatur aufzubauen. Vielleicht würde es für Pferdegerechtes Arbeiten sprechen, das Tier zunächst durch Hufbearbeitung vorzuentlasten?
Das hat auch etwas mit „Respekt“ dem Pferd gegenüber zu tun. Dazu gehört neben einer fairen Ausbildung auch eine passende und zweckmäßige Ausstattung und, dass ich nicht jedem Pferd permanent im Gesicht rumtatsche, während ich für mein Video Text aufspreche!
Und zuguterletzt (ich könnte noch zahlreiche andere Beispiele anführen):
Ein Longenkarabiner gehört zu keinem Zeitpunkt in ein Pferdemaul, es sei denn, sie befinden sich auf einer Autobahn nach einem Unfall mit Hänger und haben keine andere Möglichkeit, dass aufgebrachte Pferd anderweitig davon abzubringen, auf die Gegenfahrbahn zu rennen und einen Massenunfall zu verursachen!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen