Mittwoch, 21. März 2018

Das Benutz-mich-Nachwort

Für 20 Euro bestellen bei: nicola-steiner@t-online.de
Da mir die Patriotentrilogie (das Nachwort gehört zum 1. Teil) zugestoßen ist, kenne auch ich das Ende noch nicht (Teil 3 geschieht derzeit). Genau wie der werte Leser bin ich in einer Situation, in der ich versuchen muss, das eigene Buch zu verstehen.

Im Deutschleistungskurs habe ich allerdings gelernt, dass es immer mehrere Interpretationsmöglichkeiten gibt. Wer ähnlich begeistert von Literatur ist wie ich, der hat vielleicht Spaß daran, die Rätsel des Buches selbst zu lösen: Denn bei jeder einzelnen Zeile gibt es eine Botschaft hinter der Botschaft. Das Buch soll zum Nachdenken anregen und nicht die eine Wahrheit auf dem Silbertablett präsentieren – zumal es diese gar nicht gibt: Es gibt immer uns unbekannte Aspekte.

Da die Trilogie auch das Ziel verfolgt, dem Leser die Kunst nahezubringen (beispielsweise die Lyrik der Onkelz-Lieder), weil die Kunst es schon immer vermochte, gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, bespreche ich nun die Benutz-mich-Dimensionen als kleine Interpretationshilfe in sechs Möglichkeiten.

Möglichkeit 1 – die Tragik des griechischen Dramas

Nicht nur die Ich-Erzählerin, sondern auch der Leser fragt sich: Warum musste das jetzt sein? Es war doch so kurz davor und alles wäre gut gewesen. Die Zusendung des Onkelz-Songs ist der Wendepunkt in der Geschichte. Allerdings hätte es ohne diesen Wendepunkt gar keine Geschichte gegeben bzw. sie wäre nach nur wenigen Seiten geendet mit: „Sie lebten glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.

Möglichkeit 2 – die sexuelle Befreiung (der Frau)

Wie im Teil über die Böhsen Onkelz aufgezeigt, soll Kunst aufrütteln und fühlt sich manchmal wie ein Schlag ins Gesicht an. Dies ist der offensichtliche Effekt, dass der Leser darüber nachdenkt, dass Männer es nicht mögen, wenn eine Frau sich so offen anbietet. Der Eine oder Andere kommt vielleicht auch auf die Idee, dass die Sexualität seit Jahrtausenden durch kirchliche Propaganda mit einer großen Scham belegt worden ist. Entscheidend in Sachen Widerstand ist, dass die Studentenrevolte der 60er Jahre auch mit einer sexuellen Befreiung einherging.

Möglichkeit 3 – die traumatisierte Gesellschaft

Die Protagonisten zeigen sexuelle Dysfunktionen als Kehrseiten einer Medaille. Der männliche Part kann sich (ähnlich wie viele Frauen, die an einer PTBS leiden) beim Sex nicht fallen lassen; der weibliche Part zeigt ein Sexualverhalten, das auch einem Narzissten1 zugeschrieben werden könnte. Es handelt sich bei beiden um Kehrseiten der Traumafolgestörung. Benutz-mich ist somit ein Symbol für die kranke Angstgesellschaft nach Hans-Joachim Maaz (FN 117), der von Normopathie spricht.

Möglichkeit 4 – die Borderline-Spaltung

Normopathie scheint jedoch ein Synonym für stilles Borderline zu sein, bei denen meist nicht erkannt wird, dass sie an einer Traumafolgestörung leiden. Genau wie Narzissten haben viele Borderliner Probleme damit, stabile Beziehungen aufrecht zu erhalten. Einerseits wünschen sie sich symbiotische Nähe, aber fühlen sich (wie die Ich-Erzählerin am Geburtstag des Angebeteten) bedroht, sobald die Nähe erwidert wird. Das führt zu so genannten On-Off-Beziehungen: dem Wechsel aus Idealisierung und Entwertung (= Schwarz-Weiß-Denken des Borderliners). Typisch für Borderline und Narzissmus ist die so genannte Spaltung: Es fehlt bei den traumatischen Themen die Verknüpfung von Neocortex und Amygdala im Gehirn. Dadurch funktioniert das regulierende Ich nicht: Es ist also immer nur ein Persönlichkeitsanteil auf einmal anwesend. Bei hoher emotionaler Belastung kann dies zu Kontrollverlusten führen, die sich sowohl in der Benutz-mich-Dimension, bei Kevin Russel als auch in dem zeigen, was Falco sich selbst nicht verzeihen kann.

Für Boderline spricht in diesem Fall, dass die Ich-Erzählerin eine Dissoziation erlebte, als Falco ihr zum ersten Mal begegnet ist (in Kombination mit #6).

Möglichkeit 5 – die altruistische Dimension

Da ein weiblicher Archetyp (FN 14) die Heilerin und der rote Faden im Buch die heilsame Wirkung des Orgasmus ist, muss die Zusendung des Liedes nicht zwingend sexuell interpretiert werden. Es bietet auch eine Variante des: „Ich tue alles, was erforderlich ist, um deine Seele zu heilen. Mach dir um mich keine Gedanken.

Möglichkeit 6 – die Dualseelenbegegnung

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Bei einer Dualseelenbegegnung werden zwei Seelen, die ehemals eine waren, einander zur gegenseitigen Heilung geschickt. Allerdings erfährt die Ich-Erzählerin erst in der Mitte des zweiten Teils, dass Falco ihre Dualseele ist und realisiert erst im dritten Teil, dass Dualseelen nicht dasselbe wie Zwillingsseelen sind (die findet Larissa in Nicht-Horst). Die Harmonie, die Zwillingsseelen von der ersten Stunde an erleben, müssen Dualseelen sich hart erarbeiten. Denn sie wurden einander zur gegenseitigen Heilung geschickt. Falco folgt nur Impulsen, aber es gelingt ihm stets, die Themen ans Licht zu zerren, die bei der Ich-Erzählerin verarbeitet werden müssen. Diese spürt deutlich, dass sie Falco ebenfalls für seine Heilung geschickt wurde, aber niemand nimmt sie ernst. Erst später erfährt sie, dass die Heilung des Mannes erst beginnt, wenn die Heilung der Frau zu 90 Prozent abgeschlossen ist. Zur Dualseelenbegegnung (FN 42) gehört auch eine sexuelle Dimension, die am Ende des Buches Gestalt annimmt, wenn die Ich-Erzählerin erkennt, dass Sex sich nur dann richtig anfühlen kann, wenn die körperliche Begegnung eine Erweiterung der Seelenbegegnung ist. Das Benutz-mich-Lied steht dann für die Hingabe.

Die Zusendung des Liedes zeigt auch die unstillbare Sehnsucht, die Dualseelen als sehr intensives Gefühl erleben. Genau daran erkennt man ja die Dualseelenbegegnung. Das würde auch die Amnesie erklären, die die Ich-Erzählerin erlebt, als sie ihrer Dualseele zum ersten Mal begegnet. Der erste Teil der Trilogie zeigt die ersten drei Phasen der Dualseelenbegegnung: beginnend mit der Suche. Diese erste Phase wird im Buch von einer für Dualseelen typischen Symbolik begleitet, denn die Autorin sieht Falken. Greifvögel haben im Buddhismus auch die Bedeutung des „Du findest, was du suchst“ – das ist eine Zeile des ersten Onkelz-Liedes, das im Buch erwähnt wird, noch bevor die Dualseelen sich begegnen. Nach Rudolf Steiner (FN 12), dem Namensvetter der Autorin, ist die Seele zweigeteilt in einen männlichen und einen weiblichen Part. Trotzdem werden Dualsseeln nicht automatisch zum Paar, sondern nur, wenn beide Seelenanteile Heilung suchen und finden.

1 Narzissten-Sex: www.gesundheit.de/medizin/psychologie/narzissmus-id214463

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