Sonntag, 31. Juli 2016

Infonachmittag Peer & Jenny












Erfahrungsbericht: Info-Nachmittag der Horsemanship-Trainer Jenny Wild & Peer Claßen



Kennt ihr das? Man liest ein gutes Pferdebuch, bestellt den Trainer zum Unterricht zu sich und ist danach ziemlich enttäuscht, weil die Diskrepanz zwischen dem geschriebenen Wort und dem im Unterricht Gelehrten unüberwindbar scheint? Ich habe in jüngster Zeit auch ein gutes Buch gelesen, sogar eine Rezension geschrieben. Ich habe obendrein dieses Buch all meinen Bodenarbeitsschülern empfohlen und am Sonntag war die Feuerprobe: Die mit Feuereifer empfohlenen Trainer Peer Claßen und Jenny Wild waren bei einem Infonachmittag in Witten zu sehen.


Also habe ich meine Lieblings-Bodenarbeitsschüler eingepackt und bin mit denen dorthin gefahren. Wir waren so begeistert, dass wir im ersten Teil wahrscheinlich alle so aussahen wie diese Wackeldackel, die in den 70er Jahren auf der Hutablage einiger Autos spazierengefahren wurden. Wir haben genickt, was das Zeug hält und uns gegenseitig immer wieder bestätigt: „Genauso machen wir das auch.“
Peer Claßen ©Ester Vonk
Während wir uns gegenseitig auf die Schulter klopften, erklärte Peer, wie leicht man einem Pferd Dinge beibringt, die man ihm gar nicht beibringen wollte. Peer stand also in bester „Horsemanship“-Manier vor seinem Pferd und wackelte mit dem Stick – angeblich damit das Pferd rückwärts gehe. Als das Pferd statt rückwärts zu gehen, stehen blieb, hörte er auf zu Wedeln und erklärte: „So, jetzt hat das Pferd gelernt, dass Stehenbleiben die gewünschte Antwort ist.“ Jenny hat das, was wir als Phasen-Steigern kennen, so verdeutlicht: „Man muss eine Frage zu Ende stellen.“ Da es mich sehr gewundert hätte, wenn Peer den Unterschied zwischen rhythmischer Bewegung (bei Parelli „Friendly Game“) und rhythmischen Druck (Parellis „Driving Game“) nicht gekannt hätte, wackelte mein Kopf wieder in Wackeldackel-Manier, als Peer mit wenig Aufwand einige Schritt rückwärts bei seinem Pferd Lex abfragen konnte. Eigentlich so einfach, dass es gelegentlich zu einfach ist: Alles, was unser Pferd für uns tun soll, müssen wir erklären und immer dann, wenn es das Richtige tut, stellen wir den Druck ein. Sinn und Zweck dieses kostenlosen Info-Nachmittags war, dass die Pferde den Applaus gelassener nehmen – insbesondere Painthorse „Amy“ tat sich damit etwas schwer. Jenny erzählte, dass sie ihr Pferd einmal bei einer Messe mental „verloren“ hatte. Auch ich habe eine Paintstute: Die heißt Fancy und sieht Jennys Amy sogar recht ähnlich. Also raunte ich meiner Begleitung zu: „Genau wie Fancy bei der Pferd-und-Hund-Messe“. Nachdem ich die ganze Saison damit verbracht hatte, mich für das Horse & Dog Trail Championat bei der Messe in Dortmund zu qualifizieren und (genau wie zwei andere der elf Teilnehmer) aufgeben musste, weil das Pferd zu nervös war, war es Balsam auf meiner Seele, als Jenny sagte: „Besonders wenn man Horsemanship macht, hat man auch einen gewissen Erfolgsdruck.“ Auch das kenne ich natürlich: Gerade wenn man Natural Horsemanship macht, ist die Erwartungshaltung der Zuschauer sehr groß. Aber Horsemanship ist ja auch für Pferde gedacht, die eben ein wenig herausfordernder sind, als der landläufige coole Haflinger und das in sich ruhende Quarter Horse. Denn es kommt darauf an, auch aus einem als sehr schwierig geltenden Pferd einen willigen und gehorsamen Partner machen.
Jenny Wild,© Ronja Völkel
Noch etwas, wo mir Jenny aus der Seele gesprochen hat:
„Wenn das Pferd buckelt und steigend durch die Halle rennt, dann hört man den Vorwurf, das eigene Pferd nicht unter Kontrolle zu haben. Aber wehe es ist gehorsam, dann kommt ganz schnell die Anklage, dass das Pferd tot ist.“
Worauf ich mir den Zwischenruf „Oder tote Augen“ einfach nicht verkneifen konnte. Eigentlich geht es beim Natural Horsemanship doch immer darum, das rechte Maß zwischen zwei Extremen zu finden. Dem Pferd auf der einen Seite mitzuteilen, dass es Rechte hat und auch einmal seine Meinung und seine Wünsche in die Pferd-Mensch-Beziehung einbringen darf; ihm auf der anderen Seite aber auch Führung zu geben.
Da Pferde nicht nur Fluchttiere, sondern auch Herdentiere sind, brauchen sie Führung und fühlen sich nur sicher, wenn der Mensch diese Führung auch gibt, betonte Peer Claßen bei der Demo. Jenny Wild erläuterte dazu, warum eine Pferd-Mensch-Beziehung ohne eine gelegentliche so genannte Phase 4 nicht auskomme:
„Wenn ich meine Frage nicht zu Ende stelle, dann kann ich meinem Pferd keine Sicherheit geben und nicht souverän sein, also bekommt es Angst, weil es um sein Leben fürchten muss.“
Aber es gibt eben auch eine Kehrseite der Medaille: Das Pferd soll kein Sklave sein, sondern ein Partner. Motivierend kann sein, wenn der Mensch auch mal das Pferd spiegelt, also alles nachmacht, was das Pferd vormacht. Diese Methode finde ich gerade bei selbstbewussten Pferden sehr hilfreich, die sich von ihren Menschen schnell bevormundet fühlen. Eine meiner Schülerinnen fragte: „Und, was macht Jenny, wenn das Pferd sich jetzt wälzt?“ Ob Jenny sich dann auch gewälzt hätte, werden wir wohl nie erfahren, aber wir wissen, dass Jennys Pferd Amy eher unsicher ist – zumindest bei Applaus. Hier kann es helfen, wenn der Mensch dem Pferd einen Job gibt, z.B. das Verschieben der Hinterhand oder indem man den Spieß herum dreht und das Pferd den Menschen spiegeln lässt. Damit wird beim Pferd die Denkhälfte des Gehirns aktiviert und „Nur, wer denkt, kann auch lernen“, weiß Peer Claßen.
Peer Claßen, © Ronja Völkel
Wie gut ein Pferd lernt, hängt im höchsten Maße vom Timing ab, so Claßen weiter. Es ist also eine Kommunikation zwischen Pferd und Mensch, die blitzschnell vonstatten geht, je nachdem ob bzw. wie das Pferd antwortet. Immer wenn das Pferd das Richtige tut, wird der Druck eingestellt vice versa gesteigert, wenn das Pferd die Antwort verweigert. Bei der Demo haben Peer und Jenny auch mit zwei Jungpferden aus dem Gaststall gearbeitet. Die waren erstmal ganz schön aufgeregt und es wurde betont, dass man ja auch nichts sonderlich Schwieriges vom Pferd verlangt: „Renn mich nicht um! Würdest Du für mich rückwärts gehen oder mit der Hinterhand weichen?“  waren typische Botschaften oder Fragen ans Pferd. Jenny Wild führte den Zuschauern dabei vor Augen, wie wichtig es ist „Danke“ zu sagen, wenn das Pferd richtig reagiert. Dieses„Dankeschön“  kann in vielen Formen auftreten und es muss nicht immer das Leckerli sein: Viele Pferde empfinden schon eine Pause als Belohnung. Painthorse Amy liebt es, wenn Jenny sie überall am Körper kratzt. Die beiden „Gastpferde“ sorgten beim Publikum für einige Lacherfolge, weil die Stute rossig war und somit Wallach und Stute ganz andere Dinge im Kopf hatten als Natural Horsemanship. Besonders beeindruckend war daher, dass es sowohl Jenny als auch Peer gelang, nicht nur ganz unspektakulär den Gehorsam dieser ihnen unbekannten Pferde sicherzustellen, sondern es ihnen sogar gelungen ist, in kürzester Zeit deutliche Zeichen der Entspannung bei beiden Pferden hervorzulocken.
Jenny Wild, © Ester Vonk
Damit gingen die beiden Warmblüter zurück auf die Weide und Lex und Amy kamen zurück in den „Ring“. Nun verwandelte sich die Wackeldackel-Manier von mir und meinen 12-Oaks-Ranch-Begleitern in ein Staunen mit offenem Mund. Das haben wir alle noch nicht versucht: Freiheitsdressur mit zwei Pferden. Allein schon das Positionieren der Pferde war faszinierend, aber als dann beide Pferde Peer spiegelten, ging ein leises Raunen durchs Publikum. Auch das rückwärts Führen am Schweif mit zwei Pferden war beeindruckend. Eine ganz besondere Führtaktik weckte unseren Ehrgeiz, so viel Ehrgeiz übrigens, dass zwei Schülerinnen beide einen kleinen Film davon gedreht haben, wie ein Seitenwechsel durch das Verschieben der Hinterhand gelingt. Wie eingangs erklärt, kommt es darauf an, dem Pferd jede neue Aufgabe zu erklären. Also steht der Mensch zunächst frontal vor dem Pferd, damit das Pferd von der linken zur rechten Seite des Menschen wechselt und umgekehrt. Später funktioniert das Ganze sogar aus einer Führposition heraus, wo Pferd und Mensch in die gleiche Richtung sehen und der Mensch nur kurz nach hinten auf die Kruppe schaut. Grund für einen spontanen Applaus des Publikums und jetzt endlich eine Woche vor der Equitana hat Paintstute Amy deutlich zu verstehen gegeben: „Applaus juckt mich nicht“. Jenny hat uns zum Abschied verdeutlicht, dass wir alle mitgeholfen haben, Amy das beizubringen. Im ersten Teil der Vorführung haben alle sofort den Applaus eingestellt, wenn Amy stehenblieb; am Ende haben wir den Applaus etwas länger aufrecht erhalten, bis zum ersten Anzeichen von Entspannung bei Amy wie Kopfsenken oder der Beschäftigung mit etwas anderem wie einem Strohhalm, der auf dem Boden lag.
Wenn Amy also bei der Equitana-Aufführung auf den tosenden Applaus doch reagieren sollte: Wir Zuschauer sind Zeugen dafür, dass es in Witten hervorragend geklappt hat. Davon abgesehen, dass Wallach Lex ein echter Herzensbrecher ist: Besonders Fancys Reitbeteiligung Ester schien es Lex angetan zu haben, denn bei jeder zweiten Runde ließ er es sich nehmen, den Kopf über die Absperrung zu heben, um Ester anzustupsen: Einmal hat er ihr sogar den Kopf auf die Schulter gelegt – der wusste, wo die Horsemanshipler im Publikum zu finden waren. Es war nicht nur lehrreich, sondern auch lustig und Peer sorgte mit sprühendem Wortwitz für manchen Lacherfolg. Also: Lesen lohnt sich.

zum Buchtipp                               © Nicola Steiner,  Artikelbild: foto-streitferdt.de

















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