Freitag, 29. April 2016

Wo ist denn bloß der rote Knopf am Pferd?

Was mache ich, wenn mein Pferd dieses oder jenes macht?

Diese Frage höre ich immer mal wieder und wie gerne würde ich antworten à la: "Renn drei mal um Dein Pferd drumherum und dann drücke den roten Knopf." Spaß beiseite, dass es keinen Knopf gibt, das wissen ja die meisten, aber ein bißchen enttäuscht sieht der eine oder andere Kunde schon aus, wenn ich den Satz "Es kommt darauf an", herunterleiere, als hätte eine Schallplatte einen Sprung. Man kann nämlich aus dem Verhalten eines Pferdes kaum etwas ableiten. Werde ich z.B. gefragt: "Was mache ich, wenn mein Pferd tritt?" antworte ich erst einmal mit einem Riesenfragenkatalog. Tritt es gezielt oder eher aus Versehen, weil es Angst hat? Welche Situation war es denn? Was hat er Mensch gemacht? Oder noch wichtiger: Was hat der Mensch GEDACHT? Denn auch darauf reagieren Pferde. Diese Frage-Antwort-Spiel lässt sich gewaltig abkürzen, wenn man sagt: "Zeig mal", denn dann sehe ich meistens sofort, was dieses Verhalten auslöst. Aber Ausnahmen bestätigen ja die Regel, hat ja schon Pat Parelli gesagt: "Sag niemals nie, sag nicht immer immer, normalerweise sag normalerweise", und im Unterricht mit Steffi und ihrem Pferd war es goldrichtig, dass wir den Großteil unserer 90-minütigen Unterrichtsstunde mit Quatschen verbracht haben. Denn auch der Mensch hat ja keinen Schalter für seine Gedanken und Gefühle.
Es geht um die Tinker-Stute "Fluse", die ein Problem mit Motorrädern hat - also nicht immer und noch nicht einmal immer öfter, sondern mal so, mal so. Und wenn man dann in Begriffen wie Desensibilisierung denkt, dann ist man ganz sicher versucht, sich die Haare zu raufen, denn bei 99 Motorrädern ist sie brav und beim Hundersten ist sie auf einmal im höchsten Maße angespannt und hat einmal sogar ihre Hinterhand spontan in die Fahrbahn geschwenkt und das ist ja dann richtig gefährlich. Steffi ist gelungen, das schnell zu unterbinden und da sie ganz und gar Horsewoman ist, geht es ihr nicht nur um Kontrolle, sondern ein gutes Gefühl auf beiden Seiten, aber neulich war sie echt frustriert. Schon so viele Horsemanship-Trainer gehabt, so viel geübt, aber wirklich gelöst ist das Problem immer noch nicht. Wenn ich ihr dann sage, dass sich alle Probleme in Luft auflösen, wenn sie in Parellis sieben Spielen immer besser wird, dann kommt es ihr wahrscheinlich zu den Ohren heraus. Also habe ich gefragt, was denn die anderen Trainer empfohlen haben (es war übrigens die dritte Stunde, die Steffi bei mir nimmt) und der Tenor war immer: "Gib dem Pferd einen Job". Das ist ja auch nicht falsch, passt aber nicht zu Fluse, denn das sind Right-Brain-Extrovert-Strategien (also in den Horsenality-Strategien nach Parelli).
Diese eMail hat Steffi mir nach dem Unterricht geschickt.
Das würde dann klappen, wenn Fluse in dem Moment extrovertiert WÄRE, aber das ist sie wohl nicht. Sie hat uns überhaupt immer Rätsel aufgeben, mal wirkte sie wie diese Pferdepersönlichkeit, mal wie eine andere und im Grunde ist sie eigentlich das Mimöschen und den Pferden .... und wie nennt das Parelli? Right-Brain-Introvert ... genau, denn die verstecken sich gerne in allen Horsenalitys. Aber gerade für diese Typen braucht man Nerven, denn es heißt WARTEN, WARTEN und nochmal WARTEN - das kann ganz schön enervierend sein. Und hat man mal zu viel Druck gemacht, ist das zuvor mühsam Erarbeitete schnell für die Katz gewesen. Da lasse ich mich dann - ehrlich gesagt - schnell anstecken mit dem Frust, um zeitgleich zu sagen, dass es eigentlich exakt unser Frust ist, der das Pferd in die Introvertierheit treibt. Doppelt frustrierend war, dass Fluse als wir die "Mach-mal-Strategie" anwenden wollten, einen Tag hatte, an dem sie Motorräder total relaxt sah.
Steffi hatte die rettende Idee: Man kann Gullideckel als Stellvertreter-Übung nehmen. Dabei geht es allerdings nicht um das Objekt "Gullideckel", sondern um die Technik und wie viel Beziehung man aus dieser Technik gewinnt. Also habe ich mit Steffi in etwa Folgendes geübt und ihr später dieses Video mit Pat Parelli per Video gesandt:


Ich habe Steffi dann auch Hausaufgaben aufgegeben, damit das Gelernte verinnerlicht wird und habe mich riesig darüber gefreut, dass sie diese erledigt hat und mir dann noch einmal eine liebe nette Mail geschickt hat, die ich wieder als Screenshot einfüge, weil mich das immer total freut, wenn ich so ein Feedback bekomme (Ähnliche gibt es auch im Gästebuch meiner Homepage).

"4. Unterrichtsstunde: Das Squeeze Game
Top 1: Das Squeeze Game (Originalversion)
Ziel ist es, das Pferd zwischen mir und einem Objekt hindurch zu schicken (Squeeze = Engpass). Um dies zu tun, stehe ich so, dass ich das Objekt frontal ansehen kann, der Abstand sollte gerade zu Beginn groß genug sein, damit das Pferd sich auch wirklich durch den Engpass traut. Nun schicke ich das Pferd durch den Engpass, indem ich mit der Führhand in die gewünschte Richtung weise und in die gewünschte Richtung blicke („Power of Natural Focus“). Reicht dies nicht, so kann ich den Stick erst heben, dann schwingen und in letzter Instanz hinter dem Pferd auf den Boden schlagen oder das Pferd mit dem Stick „beißen“. Bewegt sich das Pferd nun durch den Engpass, fokussiere ich meine Energie auf das Objekt. Ich schicke das Pferd so weit, dass es auch wirklich bis ans Seilende läuft, dann schicke ich die Hinterhand herum („Turn“) und lasse das Pferd mich ansehen („Face“). In dieser Position lasse ich das Pferd für 30s stehen („Wait“), ehe ich es wieder durch den Engpass schicke und auf der andere Seite denselben Ablauf abfrage („Turn-Face-Wait“). Hat sich das Pferd an den Engpass gewöhnt, kann ich meinen Abstand zu dem Objekt verringern.
Top 2: Das Squeeze Game (Hot and cold)
Ist das grundlegende Konzept des Squeeze Games verstanden worden, kann man es in eine Spielvariation ändern, die sich „Hot and cold“ nennt und dabei helfen kann, Pferden einen gruseligen Gegenstand nahe zu bringen. In diesem Fall spielt man das Squeeze Game wie folgt: Man schickt das Pferd wie zuvor beschrieben durch den Engpass. Ist das Pferd in dem Bereich des gruseligen Objektes, fokussiere ich meine Aufmerksamkeit auf das Objekt und fahre meine gesamte Energie herunter. Entfernt sich das Pferd aus dem Bereich des Objekts, schicke ich die Hinterhand herum und schicke das Pferd abermals durch den Engpass, dieses Mal aber ohne eine Pause. Im Bereich des Gruselobjektes fahre ich die Energie wieder herunter. Auf diese Weise merkt das Pferd: Im Bereich des Objektes ist es angenehm, es herrscht kein Druck. Entferne ich mich, wird Druck aufgebaut. Dies führt dazu, dass das Pferd sich zu dem Objekt hin bewegen MÖCHTE. Wann immer das Pferd sich mit dem Gegenstand auseinandersetzt, wird die Energie herunter gefahren. Bewegt sich das Pferd fort, wird Druck aufgebaut.
Top 3: Die 4-Fuß-Bremse
Will man Pferden in Gefahrensituationen klar machen, dass sie stehen bleiben sollen, ist es sinnvoll, ein Kommando zu installieren, dass man dann abrufen kann (z.B.: „Whoa“). Das Kommando übt man zunächst im geschützten Rahmen, bis es ganz deutlich verinnerlicht ist, ehe man es in Gefahrensituationen erwarten kann."

und wenn das gut verstanden, kann man dieselbe Technik beim Reiten anwenden wir z.B. in diesem Video von Warwick Schiller.


Die Bodenarbeitsvariante haben wir geübt, nachdem die Grundübung Engpassspiel auch insoweit verstanden war, dass da am Ende ein "Dreh-Dich-um-sieh-mich-an-und-WARTE" steht. Ihr werdet es nicht glauben, Fluse hat dieses Topfschlagen-ähnliche Spiel in kürzester Zeit verstanden und gelernt, dass es "warm" ist, wenn sie ihren Fuß auf den Gulli-Deckel abstellt. Es war uns gelungen, ein reagierendes Pferd zum Denken zu bringen.

Aber woher hat Fluse gewusst, dass das die Lösung ist? Ich habe das gewünschte Verhalten gedacht und meinen Blick (Fokus) darauf gerichtet - einfach, genial und eigentlich doch so schwer (genauso funktioniert übrigens auch das Verladen, siehe auch die Unterseite Verladen auf meiner Website und den Themenmonat VERLADEGESCHICHTEN).
Ach ja, dann waren da ja auch noch die Motorräder. Steffi hat ihrem Pferd immer, wenn es brav das vorbeifahrende Motorrad, ein Leckerchen gegeben und ich habe zu bedenken gegeben, dass es sein könnte, dass sie damit überhaupt erst eine Sache aus der Motorradkiste macht (wobei ich betonen möchte, dass beide Methoden ihre Berechtigung haben). Wie eingangs erwähnt: Es kommt drauf an: aufs Pferd, auf den Besitzer, auf die Situation, aufs Wetter, auf die Tagesverfassung. Deswegen brauchen wir nämlich nicht die eine Methode; wir brauchen einen Methodenpool, den Warwick Schiller "Werkzeugkoffer" nennt - und dann muss man oft ganz einfach ausprobieren - wenn es nach drei Versuchen nicht besser wird, packt man eine andere Methode aus dem Werkzeugkoffer.

Über meine eigenen Pferde und mißratenen und gelungenen Versuche erzähle ich in meinem folgenden Buch, wo auch die Basis des Natural Horsemanship erklärt und durch Fotoreihen illustriert wird:



Ich würde mich freuen, wenn ihr mir einen Kommentar hinterlasst, ob ihr Ähnliches mit Euren Pferden erlebt habt und was bei Euch des Pudels Kern oder des Rätsels Lösung war.

Besucht auch meinen politischen Blog - in diesem Monat mit dem Beitrag:

Von der Avon-Beraterin in den Haustürwahlkampf

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