Kennt ihr die Horsenalitys nach Parelli? Left Brain - kann denken, Right Brain - ist unsicher / ängstlich. Extrovert - bewegt sich gern und Introvert - genau das nicht? Ich stelle dieser Tage einen Artikel zu diesem Thema ein, den ich mal geschrieben habe. Aber zuerst erzähle ich Euch die Geschichte von einem Kundenpferd.
Ich dachte letzte Zeit des Öfteren bei mir: "Eigentlich habe ich im Unterricht nur Left-Brain-Pferde .. muss wohl an der Zucht liegen .." Und dann kam Jasper. Er ist ein 8jähriger Tinker, der aus Irland importiert wurde .. kein Jungpferd mehr, aber dennoch recht grün hinter den Ohren. Als die Besitzerin ihn mir beschrieb, dachte ich: "Faul und büffelig = LBI" - man findet da auch in der Tat LBI-Tendenzen, aber erst auf den zweiten Blick. Dies hier ist unsere allererste Begegnung:
Trotz des großen Körpers hat Jasper manchmal zuweilen doch ein kleines Herz und das trägt er ganz tief in sich drinnen. Wenn er sich nicht bewegt, dann nicht unbedingt, weil er nicht will, sondern oft genug, weil er wirklich nicht kann. Er verkriecht sich manchmal in sein inneres Schneckenhaus und wenn man dann Druck auf ihn ausübt,explodiert er regelrecht. Das muss nicht immer Bocken oder Steigen sein ... er reißt sich einfach los.
Wer jetzt denkt, dass das Wort "Druck" die Mengenangabe "viel" beinhaltet, der irrt. Selbst ein Stimmkommando kann schon Druck sein. Für Jasper war es schon Druck, dass ich frisch, fröhlich, frei auf ihn zugestiefelt bin - er ergriff sofort die Flucht. Na ja, Flucht trifft es nicht ganz, denn Introverts bewegen sich schon langsam. Der geneigte Leser wird jetzt vielleicht denken: "Ach was, der Gaul hat keinen Bock und reißt sich deswegen los." und normalerweise ist dieses Thema ja auch das, was früher die Stammtische und heute die Facebook-Gruppen prägt. Die eine Seite beharrt auf: "Der hat keinen Bock" und die andere wirft nicht nur Wattebällchen, sondern fordert das für die komplette Pferdewelt. Und das Fazit kann eigentlich erstmal nur sein: "Es hat noch nie einer ein Pferd dazu befragt und wir bewegen uns im Bereich der Spekulation."
Aber eigentlich muss man gar nicht Dr. Doolittle sein, um ein Pferd zu befragen .. es reicht völlig aus seine Körpersprache zu lesen. Wäre Jasper nämlich durch und durch ein Left Brain Pferd würden seine Augen blinzeln, er hätte Ohrenspiel, vielleicht würde seine Unterlippe hängen und der Kopf auch ... alles in allem ein entspanntes Pferd. Und auch wenn er sich wie ein Büffel in den Strick hängt und das Ganze ziemlich selbstbewusst aussieht auf den ersten Blick, so sprach Jaspers Körpersprache an diesem ersten Tag Bände. Angespannt, Kopf eher oben und vor allem die Augen. Keine Angst, ich komme Euch nicht mit dem Wendy-Gesülze von "toten Augen" ... nein ... in sich gekehrt, trifft das viel besser. Wenn Druck kommt, dann flüchtet Jasper nicht ab durch die Mitte, sondern rein in seine innere Welt und wenn man das nicht zulässt, dann .. und erst dann ... beginnt er zu kämpfen, was sich bei ihm in Losreißversuchen äußert. Bei Parelli wird dieses Verhalten mit "erst stillstehen, dann explodieren" zusammengefasst. Man sollte dennoch im Hinterkopf haben, dass diese Pferde in der Regel dennoch sehr gehorsam sind. Solange der Druck ein gewisses Maß nicht überschreitet, tun sie sehr wohl ihren Job, sofern sie verstehen, was von ihnen verlangt wird. Nicht untypisch sind Koliken, die wohl mit menschlichen Magengeschwüren aufgrund von Stress vergleichbar sind.
Zurück zu meiner allerersten Begegnung mit Jasper. Es war erstmal kaum möglich ihn überhaupt auf den Minireitplatz zu bekommen. Besitzerin Anette wollte ihm dort etwas Gutes tun und so ein Pferd braucht doch Bewegung und wie wir alle, wenn wir unsere Pferde bewegen wollen, endet das meist darin, dass wir sie im Kreis scheuchen.
Parellis Left-Brain-Pferde finden es totlangweilig, ein Right-Brain-Introvert kann sich bewegen, solange er es in dieser Gemütsverfassung ist. Was also tun mit einem derart introvertierten Lebewesen? Erstmal - wie bei einem bestimmten Politiker - laaaangsam und dann ganz unpolitisch sehr, sehr wenig fordern und Zeit geben. Genau das habe ich dann in der ersten Unterrichtseinheit gemacht (sogar parallel noch Menschenschule mit der Besitzerin geschafft). Das heißt aber nicht, dass Jasper bei mir den Freifahrtschein bekommen hat: Ich war bei allem tolerant, außer beim Losreißen. Auch wenn es nicht ganz einfach war in solchen büffeligen Momenten: Wenn er los stürmte, habe ich zugesehen, dass das Seil kurz durchhing und ihm dann einen Ruck gegeben: Denn auch von einem Right-Brain-Introvert kann ein gewisser Grundgehorsam erwartet werden. Das Geheimnis war aber, dass ich mir für diesen einen Tag nur eine einzig klitzekleine Baustelle ausgesucht habe: Das Losreißen. Bei allem anderen habe ich nur so viel verlangt, wie Jasper geben konnte und schon den kleinsten Schritt in die richtige Richtung belohnt. Apropos Belohnung: (Futter-)Lob ist toll und der Mensch fühlt sich damit als Raubtier auch sehr wohl, aber Pause ist besser, denn Pferde sind als Fluchttiere Energiesparer und es gibt nichts Schöneres fürs Pferd als das, was man im Horsemanship "Neutral" nennt. Am Ende der Stunde gelang mir eine Runde Circling Game - erst nach links (denn das war Jaspers Idee) und dann nach rechts (das war meine Idee). Um erneut Pat Parelli zu zitieren: "Mach Deine Idee zur Idee Deines Pferdes, aber verstehe zuerst seine Idee." Ich bin manchmal selbst erstaunt wie gut das funktioniert. So gut, dass Jasper als wir ihn am Ende losmachten - trotz weit geöffneter Tore - bei uns blieb und wir kein Seil mehr benötigten, um ihn zu halten, denn das Seil hatte ich abgemacht und auf den Boden gelegt.
Auf eine erste Stunde folgt eine zweite Stunde und natürlich soll auch Anette Horsemanship-Techniken lernen. Gar nicht so einfach bei so einem Kandidaten, denn man darf sich nicht den geringsten Fehler erlauben, dann reißt er sich los. Obwohl Jasper seine Anette ganz augenscheinlich liebt und sie nur sein Bestes will und vom Naturell her ein wirklich sanfter Mensch ist. Wenn sie beim "Schicken" des Pferdes vergessen hat, dass sie erst weich mit dem Seil anführen muss, bevor sie den Stick zum Treiben hebt, ist Jasper weg. Beim Stick-to-me (schon wieder nach Parelli benannt) und dem Rückwärts nach dem Anhalten muss der Rhythmus genau stimmen - genau wie die Energie. Es führt kein Weg daran vorbei: Beim Lernen muss es einer von beiden können ... und wenn es beide nicht können, dann hat man zwei Möglichkeiten. Ein Pferd zu nehmen, was es kann (beim Reiten lernt Anette nun erstmal auf meinen Pferden) oder ein Pferd zu nehmen, dass es zwar nicht kann, aber einerseits eine coole Socke ist, aber andererseits absolut arbeitswütig und wie es der Zufall will, hat Anette genau ein solches Kaliber ebenfalls zu Hause stehen. Wobei .... na ja .. Kaliber ist vielleicht das falsche Wort: Sie ist klein, fast winzig: Shettydame Fleur. Ich habe noch nichts mit ihr gemacht, aber jede Wette: In Parellis Horsenalitys wäre es ein Left-Brain-Extrovert. Bevor ich Euch aber von der kleinen Fleur erzähle, kommt nach dem für morgen angekündigten Artikel ein Bericht über die dritte Bodenarbeitsstunde und da hat Jasper bewiesen, dass zwei Seelen in seiner Brust schlagen, denn sobald er zu einem Menschen Vertrauen gefasst hat, ist er gar nicht mehr Right Brain, aber das erzähle ich Euch beim übernächsten Blogbeitrag.
KÜHN, KRITISCH, KONSTRUKTIV - unser Blog macht es sich zur Aufgabe einerseits Mißstände im Pferdebereich zu hinterfragen, aber andererseits auch konstruktiv aufzuzeigen, wie ein positiver aber auch realistischer Umgang mit dem Pferd aussehen kann.
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