Dienstag, 9. Februar 2016

Interview mit Michael Grewe zur Hundeerziehung

„Ich arbeite NUR mit positiver Verstärkung“, klingt toll, hört man in letzter Zeit ziemlich oft, beruht aber eigentlich auf einem gewaltigen Irrtum. Denn nicht alles, was positiv heißt, ist auch wirklich positiv – denn wer würde sich wohl über einen „positiven“ AIDS-Test freuen? Positiv ist es allerdings, wenn die Kasse klingelt – vielleicht nicht für den, der zahlt, aber auf jeden Fall für den, der einnimmt. Das weiß ich aus eigener Erfahrung: Ich hatte einmal eine Zirkustrainerin gebucht, die von sich selbst sagte, sie arbeite NUR mit positiver Verstärkung, aber die Realität sah anders aus, denn unser sensibles Pony Lucky hat von ihr einen recht kräftigen Schlag mit der Gerte erhalten. Und das nur, weil er so stolz darauf war, dass Steigen gelernt zu haben, dass er es auch zeigte, wenn ihn niemand danach gefragt hatte. Ich fand das gar nicht so schlimm, weil er dabei wirklich sehr vorsichtig war. Der Trainerin war das aber ein Dorn im Auge, so dass der „Klaps“ mit der Gerte dazu führte, dass Lucky nun überhaupt nicht mehr steigen wollte. Wohlgemerkt war die Trainerin jemand, der von sich selbst sagt, er arbeite nur und ausschließlich mit positiver Verstärkung. Im Moment bin ich vom Pferd ein wenig auf den Hund gekommen, denn wir haben Welpen-Nachwuchs und der sollte auch zur Schule. Ich persönlich habe aus meiner Erfahrung heraus einen großen Umweg um alles gemacht, was von sich behauptet, es würde nur positiv verstärken, weil das meines Erachtens gar nicht möglich ist. Als unsere Hündin Lucy also im Sommer 2015 Mutterfreuden entgegen sah und somit unsere Nachwuchshündin Idgie „unterwegs“ war, hat mich im Tiergeschäft aus einem Regal heraus ein Buch regelrecht in seinen Bann gezogen: 
Der Titel „Hunde brauchen klare Grenzen“ sagte mir genauso wenig wie der Autor, aber ich mußte es einfach kaufen und habe es sodann verschlungen: Es ist ein nicht nur fachlich empfehlenswertes, sondern auch ein sehr humorvoll geschriebenes Buch. Damit stand für mich fest: Das Qualitätsmerkmal der gesuchten Hundeschule für Junghund Idgie sollte „Canis“ lauten. Der Autor des Buches, Michael Greve, ist Mitbegründer eines Systems, das in Deutschland Seinesgleichen sucht: Er hat ein Studium für Hundeschulen und Hundetrainer ins Leben gerufen, wo die Absolventen ein umfangreiches Fachwissen rund um den Hund erhalten und lernen mit dem Hund in seiner eigenen Sprache zu sprechen. Genau wie im Natural Horsemanship beim Pferd wird hier die Körpersprache und auch die eigene Präsenz eingesetzt: Das kann durchaus auch einmal ein Schubsen sein – eben so ähnlich wie auch das Tier in seinem Rudel oder seiner Herde kommuniziert. 
Beim Thema Leinenführigkeit wird dort in einer Weise Verantwortung an den Hund abgegeben, die den Prinzipien des Natural Horsemanship sehr ähnlich sind und somit habe ich mir eine Hundeschule ausgesucht, die eben genau das „Ich-arbeite-nur-mit-positiver-Verstärkung“ nicht vorgibt, aber in meinen Augen viel tierfreundlicher ist, als es auf den ersten Blick manchem erscheinen mag. Denn ein gut erzogener Hund erhält eine Menge Freiheiten, die dem schlecht Erzogenen verwehrt werden müssen: Der gut erzogene darf im Wald frei laufen, weil er kommt, wenn man ihn ruft und der schlecht erzogene fristet ein trauriges Dasein an der Leine.
Aber ich habe nicht nur auch das zweite Buch von Michael Grewe „Hoffnung auf Freundschaft“ gleich hinterher bestellt, ich habe ihn für diesen Artikel interviewt und er sagte, dass es bei diesen angeblich sanften Methoden gar nicht so sehr ums Tier ginge, sondern um den Menschen, der dann von sich selbst sagen kann, dass er doch sooo lieb mit seinem Hund umgehe, weil er ja ausschließlich positiv verstärke. Grewe klärt das Mißverständnis dahingehend auf, dass dieses psychologische Verstärker-Modell lediglich der Tatsache Rechnung trägt, ob man etwas hinzu gibt (positiv) oder etwas wegnimmt (negativ). Gebe ich als z.B. in irgendeiner Form Druck hinzu, dann ist das – Sie werden es erraten haben – im behaviouristischen Modell positiv und nicht negativ. Aber mal ganz ehrlich – muss man das als stinknormaler Hundehalter eigentlich alles so genau wissen? Ich glaube nicht und auch Michael Grewe denkt, dass etwas, was eigentlich ganz einfach ist, in unserer Zivilisation bei vielen Menschen verloren gegangen ist.
Ich erinnere mich noch an meine Schulzeit, wo man uns im Erziehungslehre-Unterricht Videos von anti-autoritär erzogenen Kindern gezeigt hatte, die völlig aus dem Ruder gelaufen waren, weil man ihnen keine Grenzen aufgezeigt hatte. Bei unseren Kindern wissen wir mittlerweile wieder, dass diese auch Grenzen benötigen und das dieses Grenzen-Aufzeigen durchaus positiv ist, denn wir bereiten unsere Sprösslinge darauf vor, im Leben zurecht zu kommen. Sollten wir nicht unser heiß geliebtes Haustier ebenfalls auf genau das vorbereiten? Es einfach erziehen? Aber wie? Nur mit Loben und Clickern? Michael Grewe weiß: „Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass Erziehung ohne Bestrafung nicht funktionieren kann.“ Alles andere sei Augenwischerei und diese erfolge nicht selten, um dem Kunden das Geld aus der Tasche zu ziehen, indem man ihm gibt, was er sich wünscht. Und viele Hundeschulen-Kunden möchten einfach keine Konflikte. Was für eine Erleichterung, wenn ein Trainer dann behauptet, dass Hundeerziehung ganz ohne Konflikte auskommen könne. Mit einer derartigen Aussage rennt er bei manchen Kunden schlicht offene Türen ein, weil es genau das vorgibt zu sein, was diese Kunden sich immer schon gewünscht haben. Was wäre das für eine wunderschöne rosarote Welt, wenn wir ganz ohne Strafen auskommen würden? Aber – mal Hand aufs Herz – hat das bei unseren Kindern geklappt: Nie ein lautes Wort, nie Fernsehverbot, keine lautstarken Auseinandersetzungen mit dem aus dem Ruder gelaufenen Teenager? Es ist Wunschdenken und wer dieses Wunschdenken in der Menschenwelt lebt, erzieht in der Regel auch keine glücklichen Kinder, sondern verunsichert sie vielmehr, so meine ganz persönliche Meinung. 
Auch Michael Grewe von Canis glaubt, dass ein Hund dieses Um-Keinen-Preis-Bestrafen-Wollen spürt. Diese Haltung spiegelt unsere Unsicherheit wieder und bereitet dem Tier nicht Glück, sondern noch mehr Angst. Nach Grewe kann man die eigene Autorität nur zeigen, wenn man diese Führungspersönlichkeit, die im Umgang mit Tieren so wichtig ist, wirklich fühlt und denkt. Wer dem Tier diese Sicherheit nicht geben will, weil er ja immer nur lobt, komme, was da wolle, dem geht es möglicherweise mehr um die eigene Selbstdarstellung als um das Tierwohl, überlegt Grewe: „Ginge es uns ums Tier, dann würden wir uns vor die LKWs der Schlachttransporte werfen, um dieses Tierleid zu verhindern.
Doch wie werden wir unserem Hund denn nun am Allerbesten gerecht? Indem wir ihn Hund sein lassen und dazu gehört es auch, dass der Hund einmal ein „Nein“ hört und das dieses auch durchgesetzt wird. (© Fotos: Heiner Orth)

Anlässlich des Interviews in diesem Artikel habe ich Michael Grewes Bücher ein zweites Mal gelesen und es gibt einfach Passagen, die er so treffend formuliert, dass ich diese abschließend im Original wiedergeben möchte: Auf unserer Website finden Sie je eine Leseprobe zu seinen beiden Büchern (die weißen Amazon-Widgets sind die Bücher - die anderen beiden sind seine Videos):


         

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